Brandenburg vernetzt
Link zur Seite versenden   Druckansicht öffnen
 

Erinnerungen - eine Lesung mit Grit Poppe

02.02.2017

Militärischer Drill, Arrestzellen, ein raspelkurzer Einheitshaarschnitt und Sport bis zur völligen Erschöpfung. Nein, wir reden hier nicht von einem Gefängnis oder einer Militärkaserne, sondern vom geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Hier wurden von 1964 bis 1988 über 5.000, laut der Jugendhilfe der DDR, ‘schwer erziehbare‘ Jugendliche von 14 bis 18 Jahren eingeliefert, die zu ‚Sozialistischen Persönlichkeiten‘ erzogen werden sollten. Torgau war die letzte Station einer Reihe von Durchgangs-, Kinder- und Spezialheimen und Jugendwerkhöfen. Wer in Torgau landete, war in den Augen der Jugendhilfe ein aufsässiger, rebellischer Jugendlicher, dessen Willen gebrochen werden musste. So wie Anja, die Hauptperson des Buches ‘Weggesperrt‘ der Kinder- und Jugendbuchautorin Grit Poppe.

Das Buch beschreibt Anjas Leidensweg durch die verschiedenen Heime bis nach Torgau, und ihre anschliessende Flucht.

Ihre Mutter ist der StaSi ein Dorn im Auge, da sie ihre Meinung öffentlich äußert und dem System gegenüber sehr kritisch auftritt. Sie selbst benimmt sich nicht immer tadellos, wiederspricht teilwise den Lehrern in der Schule und schwänzt auch gern mal eine ungeliebte Stunde. Als ihre Mutter schließlich einen Ausreiseantrag aus der DDR stellt, wird es der StaSi zu bunt. Nachts werden Anja und ihre Mutter aus dem Bett gezerrt, getrennt und verhaftet. Anja wird in ein Durchgangsheim der Jugendhilfe geschickt ohne zu wissen was sie eigentlich verbrochen hat, was mit ihrer Mutter geschehen ist, weiß sie nicht. Im Durchgangsheim lernt sie Gonzo kennen, ein Mädchen, welches typisch ist für die Jugendhilfe. Als Kind zur Adoption freigegeben, im Heim aufgewachsen, auffällig, rebellisch, nicht gewillt sich anzupassen. Genau das, was die Regierung nicht will. Sie freunden sich miteinander an. Sie trifft auch Tom, der von den Erziehern nur abfällig ‚Zigeuner‘ genannt wird, da er so oft aus seinem Stammjugendwerkhof entweicht. Er fasziniert sich, und als sie sich schließlich bei der Arbeit unerlaubterweise miteinander unterhalten kommen sie in getrennte Arrestzellen, können sich jedoch über einen Luftschacht unterhalen und kommen sich näher.

Anja gibt die Hoffnung nicht auf, dass ihre Mutter sie holen kommt, doch als sie in einen entfernten Jugendwerkhof verlegt wird, rückt diese Hoffnung in unerreichbare Ferne. Von Tom und Gonzo getrennt, ist sie nun auf sich allein gestellt. Sie gerät mehrmals mit ihrer Erzieherin aneinander und plant eine Flucht zu Verwandten. Eines Tages hält Anja es nicht mehr aus und flieht überstürzt zu ihren Verwandten. Dort verbringt sie einige Wochen, bis sie durch einen Zwischenfall entdeckt und in ihren Jugendwerhof zurückgebracht wird. Nun ist sie nicht nur ihrer Erzieherin, sondern auch dem Hass ihrer Gruppe ausgeliefert. Als die Situation erneut eskaliert und die Erzieherin ihr einen Brief ihrer Mutter vorenthält, schlägt Anja sie kurzerhand mit einem Stuhl nieder. Hierfür wird sie sofort nach Torgau verlegt.

Sie ist geschockt von den Umständen und Erziehungsmethoden die dort herrschen. Immer wieder denkt sie an Flucht, muss sich aber nach und nach eingestehen, dass eine Flucht aus Torgau schier unmöglich ist.

Nach einiger Zeit trifft sie Tom wieder, und Gonzo. Als Gonzo sich in einer brenzligen Situation für sie opfert, erwacht Anja aus ihrer Trance und greift ihre Fluchtpläne wieder auf. Beim Putzdienst, einer beliebten Bestrafung in Torgau, steckt Tom ihr eine Adresse zu, zu der sie gehen soll, wenn sie aus Torgau entlassen wird. Sie hat jedoch einen Unfall und wird in ein Krankenhaus gebracht. Dabei wittert sie ihre Chance zu fliehen. Heimlich macht sie sich nachts auf den Weg nach Leipzig und findet nach einiger Zeit tatsächlich die angegebene Adresse. Mit einer Gruppe Jugendlicher, die gegen das System sind, schließt sie sie, wenn auch unfreiwillig den Protesten gegen die Mauer an. Erneut finden sie und Tom zusammen, und als Anja schließlich auch ihre Mutter unverhoffterweise wieder trifft, endet das erste Buch und die Geschichte um Anja.

 

Grit Poppe gestaltete ihre Lesung interessant und anschaulich, erzählte auch viel über ihre Erlebnisse während der DDR und zeigte eine kurze Filmsequenz, ergänzt durch selbst gelesene Ausschnitte aus ihrem Buch. Die ausführlichen Erzählungen liessen kaum Fragen offen, und wenn doch, wurden diese mehr als ausreichend beantwortet.

 

Auch die zweite Lesung die Frau Poppe gab, war fesselnd. In dieser ging es um ihr zweites Buch zu diesem Thema, ‚Abgehauen‘.

In diesem Teil ist Gonzo die Hauptfigur, beschrieben wird ihre Flucht während einer Überführung in einen anderen Jugendwerkhof nach ihrer Entlassung aus Torgau. Nach einigen Wochen findet Gonzo eine scheinbar verlassene Gartenlaube, das perfekte Versteck für sie. Doch schon in der ersten Nacht begegnet sie Rene, der in den Westen abhauen will. Da Gonzo ohne Ausweis und Papiere reist, können die beiden nicht den offiziellen Weg wählen, sondern müssen über die sogenannte ‚grüne Grenze‘ gehen. Sie kommen bis zur Prager Botschaft und Gonzo lernt zum ersten Mal, einem anderen zu vertrauen.

 

Im anschließenden Gespräch beantwortete die Autorin erneut bereitwillig Fragen. Auf die Frage, was sie dazu bewogen habe diese Bücher zu schreiben antwortete sie: „Ich hatte während meiner Kindheit in der DDR oft genug mit der Stasi zu tun, mein Vater wurde zeitweise überwacht.“ Auch habe sie oft gesehen wie sogenannte ‚Staatsfeinde‘ von der Stasi verhaftet wurden.

„Das war ihnen egal, ob da Kinder anwesend waren oder nicht. Wer verhaftet wurde, wurde verhaftet.“

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr der Moment, als ihre Stiefmutter ohne ersichtlichen Grund verhaftet wurde.

„Sie hatte Briefe an englische Frauen geschrieben, die hier zu Besuch waren.“; erinnerte sie sich. „Darüber, wie das Alltagsleben der Frauen in der DDR aussah. Völlig harmlose Dinge eben. An der Grenze wurden den Frauen die Briefe abgenommen, sie wurde ausfindig gemacht und verhaftet. Wegen solch kleiner Dinge konnte man bereits in‘s Gefängnis wandern. Jeder stand praktisch unter Verdacht, ein Verräter zu sein.“

Auch sie war in einer Bürgerrechtsbewegung tätig, ‚Demokratie Jetzt‘.

„Ich habe mit einigen Zeitzeugen gesprochen, die in Torgau waren. Die wissenschaftliche Aufarbeitung geht nur langsam voran, nur wenige sind bereit, über ihre Erlebnisse zu sprechen.“, sagte sie. „Der Aufenthalt in Torgau blieb nicht ohne Folgen, physisch wie psychisch. Alle, die in ihrer Jugend in dort waren, sind heute noch in Therapie.“

Auch hatte sie gestört, dass vor allem Jugendliche teilweise sehr falsche Vorstellungen der DDR haben. „Ich habe Sachen gehört wie, ‚dass in der DDR alles toll war, alle hatten Arbeit, das Essen war billig, das Bier war billig, was will man mehr?‘ Ich fand, es musste Klarheit über die damaligen Verhältnisse herrschen. Auch während ich mir die Lebensgeschichten einiger Zeitzeugen anhörte, wuchs ein gewisser Trotz in mir heran. So etwas konnte man nicht totschweigen, die Wahrheit musste einfach erzählt werden.“

Sie veröffentlichte zu diesem Thema auch ein drittes Buch mit dem Titel ‚Schuld‘.

Ich persönlich kann sagen, dass diese Lesung im Rahmen der FuW meine Sichtweise auf das Buch erneut verändert und mir viele Fragen beantwortet hat. Grit Poppes Jugendromane kann ich nur empfehlen!

 

A. Rasche

Text 1 Innerer Monolog

Text 2 Innerer Monolog

 

 

Bild zur Meldung: Erinnerungen - eine Lesung mit Grit Poppe